Vitra: Produktionsführung und Balkrishna Doshi
19. Juni 2019, Weil am Rhein
von Liliane Albrecht

Was ist eigentlich Vitra? Gute Frage und gar nicht so einfach zu erklären. Kurz und knapp würde ich antworten: Vitra ist ein Hersteller von Design Möbeln. Vitra ist aber noch viel mehr als das. Der Name steht für Architektur, Kultur, Kunst, Qualität, Handwerk und noch vieles mehr. Jeder kommt mit Vitra in Berührung, bewusst oder unbewusst. Sei es im Wartezimmer beim Zahnarzt, die bequemen Sessel im Büro vom Treuhänder, in unzähligen modernen und alten Filmen.
In den Fünfzigerjahren hatte Willi Fehlbaum, Gründer der Firma Vitra in Birsfelden, den richtigen Riecher für zeitloses Design. Auf einer USA-Reise ist er auf Möbel von Charles und Ray Eames gestossen, welche damals sehr beliebt waren in den Staaten. Er bemühte sich also um Lizenzen und Bewilligung und hat somit voll ins Schwarze getroffen. Einige Designklassiker des Ehepaars Eames gehören noch heute zu den absoluten Bestsellern. Dazu kamen noch andere Namhafte Möbeldesigner und Architekten. Bis heute gehören Filialen in sage und schreibe 14 Ländern zur Fima.
In Weil am Rhein befindet sich der Vitra Campus welcher das Vitra Design Museum, Verwaltung, Logistik und nicht zu Letzt Produktionsstätten und das Schaudepot mit unzähligen Möbelstücken, Skizzen, Notizen zu Materialien und Qualität sowie Materialmustern. Die einzelnen Gebäude von namhaften Architekten alleine, sind ein Besuch wert!
Wir durften einen Einblick in die Produktion erhaschen. Ganz am Anfang konnten wir das Testzentrum beäugen. Schon fast lustig wie die Möbel verschiedenen Belastungen durch Gewichte, Bewegungen, äussere Einwirkungen von Licht oder Wasser und auch Stürze oder Hieben getestet werden. Die Produkte müssen ganz schön was aushalten! Danach ging es durch das Logistikzentrum wo unzählige Möbelstücke zur Abholung bereit standen, in die Produktionshalle. Am Beispiel des berühmten Alu Chairs konnten wir erstaunt feststellen wie viel Handarbeit, Geschick und Muskelkraft in einem doch so simpel wirkenden Stuhl steckt! Die Arbeiter wechseln jede Stunde den Arbeitsplatz in der Kolonne und somit auch die Arbeit, um Fehler die sich mit der Routine einschleichen, zu verhindern. Da jedes Stück individuell nach dem Kundenwunsch angefertigt wird, ist es wichtig, dass von Anfang an alle benötigten Teile zusammengestellt werden und am Schluss nochmals überprüft werden. Die Details sind wunderschön ausgearbeitet und durchdacht. Kein unnötiger Schnickschnack und es gibt unzählige Varianten. Vom Hochlehner mit oder ohne Rollen, mit oder ohne Armlehnen, diverse Materialien und Farben, bis hin zum eher sportlichen schlichten Vorzimmersessel ist wohl die ganze Bandbreite gedeckt. Ursprünglich wurde dieser Stuhl übrigens als wetterfesten Gartenstuhl entwickelt. Eine bahnbrechende Neuheit da es zu der Zeit -dieser Stuhl wurde 1958 entworfen!- wohl langsam ein Bedürfnis war auch draussen zu wohnen, doch kaum Möbel für diesen Zweck zu kaufen gab.
Schon fast erschlagen von all den Eindrücken, Informationen und auch einem gewissen Lärmpegel verliessen wir das Gebäude und machten uns auf den Weg in die Ausstellung über Balkrishna Doshi
Balkrishna Vithaldas Doshi, 26. August 1927
Balkrishna Doshi ist ein indischer Architekt welcher als junger Mann in den Fünfzigerjahren bei Le Corbusier in Paris gearbeitet hat und dadurch europäisch beeinflusst wurde. Ehrlichgesagt kenne ich keinen indischen Architekten und bin auch sonst in Sachen Indien eher ein Greenhorn. Also bin ich ohne grosse Erwartungen in diese Ausstellung spaziert und voller neuer Ideen und Eindrücken wieder raus gekommen. Wow was für ein Mensch! Mit seinen stolzen 92 Jahren kann er auf ein Lebenswerk zurückblicken und einfach nur stolz sein. Was heisst hier zurückblicken?? Dieser Herr steht noch voll im Leben, gibt Interviews und hält Vorträge. Im Internet findet ihr Filme und es lohnt sich diese zu schauen. Doshi ist wirklich ein spezieller und interessanter Mensch, ich würde ihn schon fast als Architekturguru bezeichnen. Er plant und baut für die Menschen. Richtet sich nach den Bedürfnissen der Bewohner und unterscheidet sich somit schon mal stark von vielen Architekten die sich ein Denkmal setzen wollen oder unbedingt ihren eigenen Stempel aufdrücken wollen, ob es nun praktisch und wohnlich ist oder nicht. Oder kennst du einen Architekten der sagt: Mein Bau ist nie fertig, er soll mit den Bewohnern und den Bedürfnissen wachsen? Wenn die Familie grösser wird soll ein Zimmer oder sogar ein Trakt angebaut werden welcher später wieder abgerissen oder umfunktioniert wird. Auf die Dachterrasse kann noch ein Zimmer oder ein ganzes Stockwerk hinzugefügt werden, ganz wie es gebraucht wird. Im Garten hat es sicher auch noch Platz für eine Erweiterung oder Bedachung. Es gehört also zu seiner Philosophie die Gebäude individuell zu gestalten und Veränderungen von Anfang an einzuplanen und somit auch zu ermöglichen. Seine Bauten sind absolut durchdacht und wirken doch sehr simpel und einfach. Eher kubisch und schlicht. Aber alles hat einen Grund oder Zweck. Die Häuser sind nach Lichteinfall ausgerichtet. Da es in Indien, er baut ausschliesslich in seinem Heimatland, sehr heiss werden kann, setzt er geschickt und gezielt den Schattenwurf ein. Auch überdeckte aber nicht geschlossene Durchgänge schützen zwar vor Regen, stauen aber die Hitze nicht so sehr. In öffentlichen Gebäuden setzt er gerne Pflanzen ein, für ein gutes Gefühl drinnen und gute Erholung draussen im Park, wie er sagt. Helle Farben heizen nicht so stark auf und die Sonne sollte möglichst nie direkt in die Räume strahlen. verwinkelte Mauern und überwachsene Durchgänge sorgen für etwas Luft aber keinen Durchzug. Bei Siedlungsplanungen werden Wassertürme so platziert, dass sich die Menschen aus verschiedenen Schichten treffen, oder besser treffen müssen. Er möchte eine Durchmischung der strengen Kasten in Indien erreichen. Doshi plante beispielsweise Quartiere in welchen eher wohlhabende mit eher armen Menschen in den gleichen Häusern auf verschiedenen Etagen wohnten. Die Etagen wurden mit Treppen verbunden wo sich die Menschen begegneten. Was im Vorfeld als ‚unmöglcih‘ oder ‚problematisch‘ beschrieben wurde, stellte sich als Erfolgsgeschichte heraus. Die Quartiere bestehen seit Jahren und die Menschen leben friedlich nebeneinander und vor allem miteinander.
Wie ihr hoffentlich spüren könnt, hat mich Balkrishna Doshi in seinen Bann gerissen, ich denke noch heute viel an diese Ausstellung und seine Ideen. Die Ausstellung ist anfangs etwas schwierig zu verstehen, wirkt etwas chaotisch, man findet den roten Faden nicht. Es hat glaube ich auch keinen und regt somit an sich mit den ganzen Fassetten auseinander zu setzen. Man versucht irgendwie Ordnung in all die Informationen zu bringen, man versucht es zu verstehen. Schlussendlich versteht es jeder aber auf seine Weise. Ich möchte behaupten, dass wir alle mit einem guten und glücklichen, inspirierten und motivierten Eindruck die Ausstellung verlassen haben. Die Gespräche am Mittagstisch waren jedenfalls angeregt und munter.
Nach dem Mittagessen sind wir noch auf dem riesigen Areal herumgeschlendert und haben uns die architektonisch sehr beeindruckenden Gebäude angeschaut. Darunter das Vitra Haus, das Feuerwehrhaus und das Schaudepot. Die Bauten sind von Herzog & de Meron und Zaha Hadid, also auch so absolut sehenswert! Das Schaudepot ist mit seiner Grösse und Bestückung eine Wucht!
Es lohnt sich also auf jeden Fall den Vitra Campus in Weil am Rhein zu besuche. Mir hat es ausserordentlich gefallen!